„Ochsen“: Echtes Bauernbrot
Das Echt essen-Gasthaus im November: Im badischen Traditionsgasthaus wird Brot wie vor 100 Jahren noch von Hand gebacken. Mit „Schlagen. Würgen. Schießen“
Wunderschöne Wirtsstuben. Eine Terrasse mit Blick nach Basel und ins Elsaß. Von Hand gebackenes Bauernbrot: Der „Ochsen“ im Weindorf Ötlingen oberhalb von Weil am Rhein ist ein seltenes Juwel unter den Landgasthöfen. Seit über 40 Jahren kehre ich hier ein und fühle mich wohl: Hier ist alles vertraut, die übersichtliche Speisekarte mit bewährten südbadischen Klassikern wie Kalbsbratwurst, geschnetzelte Leber und Wurstsalat ändert sich nie, alles wird solide zubereitet.
Bewährt und beliebt: „Ochsen“ in Ötlingen
Bis vor das Jahr 1838 zurück reicht die Geschichte des Markgräfler Gasthauses, das sich seit Jahrzehnten einer großen Beliebtheit erfreut – und vor allem von den Baslern sehr gerne besucht wird. Sie lassen es sich in der heimeligen Wirtsstube mit dem alten Tresen, wo sogar noch geraucht wird, gut gehen, verspeisen die währschaften Gerichte im großen Gastraum mit Blick durch lichte Fenster ins weite Land. Am liebsten aber sitzen alle auf der großen Terrasse unter schattigen Linden, schauen auf die Reben und trinken den hauseigenen Wein.
Schönste Aussicht im Markgräflerland: Ochsen-Terrasse
Schon immer fiel mir auf, dass hier ein außergewöhnliches Bauernbrot auf dem Tisch steht – und ich wollte ganz genau wissen, wie es gebacken wird. „Einfach am Donnerstag um 10 Uhr vorbeikommen“, lud mich der Wirt Jürgen Marx ein. Denn fast jeden Donnerstag ist Backtag – und ich durfte ein außergewöhnliches Ritual miterleben: Ein aufwendig von Hand geknetetes und im echten Holzofen gebackenes Brot, wie es praktisch niemand mehr macht – zu aufwendig und zu anstrengend ist die Arbeit.
Alles vorbereitet in der „Mulde“: Vorteig und Mehl
Als ich kam, waren die wichtigsten Zutaten schon in der „Mulde“, wie der hölzerne Teigtrog heißt: Vorne der Vorteig, das ist ein kleines Stück Teig vom letzten Backen, versetzt mit Hefe, die dann mit dem Teig aufgeht, weshalb in meiner Heimat die Hefe auch „Hebi“ genannt wird – hebt den Teig. Dahinter rund ein Zentner Mehl von Mühlen aus der Umgebung. Es ist eine ganz spezielle Mischung aus überwiegend Weizen und wenig Roggen, wobei der Ausmahlungsgrad für den Erfolg ausschlaggebend ist – weshalb er ein gut gehütetes Backgeheimnis bleibt. Nun kommen noch 750 Gramm Salz dazu – und je nach Wetter und Jahreszeit rund 30 Liter Wasser. Ganz wichtig für das Kneten des Teiges ist auch das kleine gebogene Eisenteil im Hintergrund, die „Schari“.
Legt Buchenscheite in den Holzofen: Anna Marx
„Im Holzofen gebacken“, heißt es häufig. Im Ochsen stimmt es. Denn im uralten Holzofen liegen jetzt zwei „Rebwellen“, zusammen gebundene und getrocknete Zweige von den eigenen Reben zum Anzünden. Nach und nach werden jetzt die für das Aroma wichtigen Buchenscheite aufgelegt, erst von Jürgen Marx, dann von seiner Mutter, die seit 1948 im Ochsen arbeitet. Genau abgewogen ist die Menge, und ich frage warum Buche?
„Weil wir schon seit 100 Jahren mit Buche feuern“, lautet die schlichte Antwort – über Generationen weitergegebenes Wissen ist eben unschlagbar. Manchmal sind auch Tannenzweige dabei – „aber dann höchstens zwei, sunscht stimmts nümmi“, erklärt mir Anna Marx. Im alemannischen Dialekt zu reden ist für die 98-jährige selbstverständlich, schließlich stammt sie aus Ötlingen, ist hier zur Schule gegangen, „leider Volksschule halt nur“, wie die immer noch hellwache, blitzgescheite und überaus liebenswürdige Frau mit ihren strahlenden Augen, die „leider nicht mehr so gut sehen wollen“, sagt.
Eine über 30-minütige Knochenarbeit ist das Kneten des Teiges. Immer wieder wird mit der „Schari“ (auf dem Tisch links) das Mehl mit dem Vorteig vermischt. Immer wieder gibt die Mutter „einen Gutsch“ Wasser zu, im Sommer eher lauwarm, im Winter wärmeres. Immer wieder wird mit der Schari (von scharen) die zähe Masse von den hölzernen Rändern gekratzt – und zum Schluss kommt das Härteste: Der Teig wird „geschlagen“, damit möglichst viel Luft hineinkommt, was Löcher ins Brot bringt, es lockerer macht. Immer wieder wollten ihm Vertreter eine Knetmaschine verkaufen, „das haben doch alle“, wie sie meinten. Aber genau mit dem Argument bissen sie sich die Zähne aus. Was alle haben, interessiert den 54-jährigen nicht, er geht seinen eigenen Weg.
© Hans Lauber
Teigprobe: Lang muss er sein – und glatt
Wirt wollte Jürgen Marx ursprünglich nicht werden – er studierte in Basel Ökonomie, machte einen sehr guten Abschluss, kann sich Lic.rer.pol nennen – so wie ich auch, der ebenfalls ein paar Jahre früher dort studiert hat: „Professor Bombach?“, frage ich, „ja bei dem war ich auch“. Aber genau so wenig wie ich als Ökonom arbeitete, tat er es. Das zeichnete sich schon während dem Studium ab, als er immer am Backtag die Vorlesung ausfallen lassen musste, wie er heute noch bedauert. Aber die Großtante war damals schon 87, schaffte die schwere Arbeit nicht mehr – und so wurde Jürgen Marx doch noch Wirt und backt seit nun 30 Jahren nach dem überlieferten Rezept.
„Jetzt zieht der Teig lang genug, er muss bis runter zur Mulde reichen“, sagt er stolz, als er die zähe Masse in die Höhe hebt. Der Teig ist nun ganz glatt – und „muess no schlofe, bis er dann Blodere wirft“, erläutert mir Anna Marx, die von 1961 bis 2007, wo sie ein schwerer Unfall ereilte, als „Küchenmamsell“ eine glückliche Gästeschar bekochte. Ihr Mann Albert, den sie 1961 heiratete, kümmerte sich um die Gäste. Er ist vor einigen Jahren gestorben, genau so wie ihr erster Mann, der im Krieg gefallen ist – und von dem sie ebenfalls zwei Kinder hat.
© Hans Lauber
Gestern ist lebendiges Heute: Die Wirtsstube
Eine faszinierende Wirtshauskultur gab es in meiner Heimat, dem weingesegneten Markgräflerland zwischen Basel und Freiburg. Leider verschwanden viele dieser traditionellen gastlichen Häuser oder wurden „modernisiert“, was meistens zu einer Verschandelung führte. Nur zwei Häuser sind vom großen Renovierungswahn verschont geblieben: Der „Hirschen“ in Egerten im Kandertal – und der Ochsen in Ötlingen. Hier ist vor allem die vordere Wirtsstube weitgehend im Original belassen. Fast alles ist von gestern – und wirkt doch wie modernes Heute. Zeitlos die Holzstühle, auf denen bei manchen noch hinten eingraviert ist: „GHK“, was für den Schreiner Georg Herrmann Koger steht, und die über 100 Jahre alt sind. Etliche der blanken Tische sind aus Walnussholz und die Lampen mit einem speziellen Pergament bespannt, nämlich von Kälberhaut. Faszinierend auch die Fotos an den Wänden, eine Art Familienchronik, die Jürgen Marx kundig zu beleben weiß.
© Hans Lauber
Lagert in großen Fässern: Der eigene Wein
Wie meistens auf dem Land war auch der Ochsen früher ein Bauernhof mit angeschlossener Wirtschaft, wo die eigenen Produkte verkauft wurden. Schweine wurden gehalten, Kartoffeln angebaut und auf der „Bündi“ wuchs Gemüse wie etwa Bohnen. Noch heute können die Ochsen-Leute ausgiebig und extrem kundig über die Vorzüge der einzelnen Sorten diskutieren, lobt die Oma die „Berber-“ und die „Sieglinde-Kartoffel“ – als beste für den Brägel, die alemannische Form der Bratkartoffeln. Bohnen werden übrigens bis heute im Ochsen wie zu Urzeiten mit Salz eingemacht als „Ständele-Bohnen“.
Auch hat der Ochsen noch seinen eigenen Wein – und der wächst direkt unterhalb des Gasthauses. Es ist natürlich ein Gutedel, die Paraderebe des Markgräflerlandes. In großen Holzfässern wird der Wein gelagert. Einige tausend Liter Wein werden jährlich gekeltert, die in der Regel aber nicht ganz reichen. Ein kerniger, eigenwilliger Tropfen ist das, der je nach Füllstand des Fasses unterschiedlich schmeckt.
So, Besichtigung beendet, „Du muesch jetz cho“, rufen die Schwestern energisch. „D´Muelde isch am Überlaufe“, sagt Rosa Schönherr, die 90-jährige Schwester von Anna, der Teig ist nach einer Stunde genug gegangen – und sie vollführt nun einen der anspruchsvollsten Backschritte: Sie „würgt“ den Teig, holt ihn mit einem küchenbrettartigen Gerät aus der Mulde und schlingt das Ganze in einer komplizierten Bewegung zu einem Brot. „Das kann kaum mehr jemand“, sagt Jürgen Marx anerkennend. Bis zu vier Kilo schwer sind diese Teiglinge und jeder sieht anders aus, „es isch nit jedesmol glich, Gotte“, lobt Jürgen Marx die Vorzüge der individuellen Handwerkskunst.
Keine neue Errungenschaft: Nachhaltigkeit
Heruntergebrannt sind nun die Holzscheite, übrig bleibt die rotschimmernde Glut. Sie wird mit der „Chrugge“, einem drei Meter langen Rechen herausgeschabt, kommt in einen Eimer – wird anschließend in den Herd gefüllt, um damit das Mittagessen zu kochen. So war es früher überall Brauch auf dem Land: Die kostbare Wärme so effektiv wie möglich nutzen. Im Ofen das Brot backen, anschließend Kuchen in die Röhre schieben – und früher dörrten darin auch noch die Äpfel. Aber nicht nur das: Auch die Wirtstuben werden mithilfe von molligen Kachelöfen damit geheizt. „Was früher selbstverständlich war, wird heute wiederentdeckt und heißt hochtrabend sustainable oder nachhaltig“, witzeln Jürgen Marx und ich.
© Hans Lauber
Arbeit lässt zufrieden altern: Ötlinger Schwestern
Gerne kaufe ich mein Gemüse auf den Markgräfler Wochenmärkten – und da am liebsten bei den Bauersfrauen. Von ihnen geht eine ganz eigene Würde, ein ganz eigenes liebenswürdiges Selbstbewusstsein aus. So auch bei Anna Marx und ihrer Schwester Rosa Schönherr. Stundenlang könnte ich zuhören, wenn sie von früher erzählen, wenn sie darüber sinnieren, warum kaum mehr einer „Anke“ für Butter sagt. Wenn sie bedauernd feststellen, dass mit der Aufgabe der Viehhaltung von den Schönherrs aus dem bäuerlichen Dorf mit Landwirtschaft nun weitgehend eine Schlafstadt geworden ist, dass eine jahrhundertelange Tradition aufgehört hat. Das hat nichts Jammeriges, es lässt nur ahnen, es ist ein Stück echte Heimat verlorengegangen.
Sicher, früher war nicht alles besser, es war harte Arbeit, was die beiden Schwestern erlebten. Aber mir fällt auf, dass von beiden eine Grundzufriedenheit ausgeht, die vielen von permanenten Kreuzfahrten und Urlauben gestressten Rentnern abgeht. Immer noch sitzt die Seniorwirtin am liebsten in ihrem kleinen Zimmer neben der Theke – und strahlt, wenn Stammgäste sie in den Arm nehmen. Gerne würde ich einmal die Rezepte der Anna Marx aufschreiben, die noch so wunderbare Geheimtipps kennt, wie Gugelhupf und Linzer Torte mit einer ganz besonderen Backzutat zu verfeinern: Schweineschmalz.
Schießen: Die Teiglinge kommen in den Holzofen
Wobei es natürlich nicht nur Brot im Ochsen gibt, sondern auch die Klassiker der Markgräfler Küche. Etwa ein Paar Bauernwürste für 6 Euro oder gefülltes Kalbssteak (Art Cordon Bleu) für 14,50 Euro. Beliebt sind auch die Vespern, etwa Wurstsalat für 6 Euro und Speck für 5,50 Euro – natürlich mit dem eigenen Brot. Einheimisch sind die meisten Produkte, so kommen Fleisch und Wurst von alteingessenen Metzgern wie Hagin in Haltingen (tolle Wurst, kann ich nur empfehlen!) Bis auf die Nudeln sieht die Karte praktisch so aus wie vor 100 Jahren – Traditionspflege auf kulinarische Weise.
Punkt 5 vor 2 holt Jürgen Marx nach eineinhalb Stunden Backzeit die knusprigen Laibe aus dem Ofen – ein unbeschreiblicher Duft nach Mehl und Holz liegt in der Luft. Sorgfältig wird von jedem Brot das Mehl abgewischt – und dann präsentiert der studierte Volkswirt, der zum Meisterbäcker mutierte, das herrliche Bauernbrot. Es ist ein Brot nach bestem bäckerlichen Reinheitsgebot aus lediglich fünf Zutaten: Mehl, Hefe, Salz, Wasser – Geschick mit harter Handarbeit.
Das Geheimnis des „ewigen Teigs“
Ein kleiner Teigreist bleibt übrig – und der hat es in sich: Denn er bildet die Grundlage für die nächsten Brote. Diese „Hebi“ wird dann wieder mit neuer Presshefe der nächste Vorteig. Wie wichtig diese Hebi für das erfolgreiche Backen ist, erläutert mir Anna Marx am Beispiel einer Bauersfrau: Erst als sie im Ochsen ein Stück von diesem „ewigen Teig“ holte, hatte sie endlich ein ordentliches Brot, wenn wahrscheinlich auch kein ganz so Gutes wie bei den Marxens.
Brot wie es sein soll: Luftig und wohlschmeckend
Ein Brot gibt mir Jürgen Marx mit. Natürlich habe ich es noch warm sofort angeschnitten. Das ist aber keine wirklich gute Idee. So ein echtes Bauernbrot muss reifen, braucht seine Zeit. Anfangs ist es noch etwas teigig. Erst nach zwei, drei Tagen entfaltet es seinen vollen Geschmack. Knusprig und gut beißbar die Kruste, wohlduftend und großporig das Innere. Am liebsten esse ich es ohne alles – oder mit bester Butter bestrichen.
„Aber das ist doch Weißbrot“, sagen jetzt manche, „was doch nicht so gut bei Diabetes ist“. Das stimmt. Auch ein perfekt gebackenes Brot kann natürlich die glykämischen Grundgesetze nicht außer Kraft setzen, wonach Weißbrot den Blutzuckerspiegel ansteigen lässt. Nur: Wann gibt es schon einmal dieses Ausnahmebrot? In der Regel allein zum Essen – und dann nur ein, zwei Scheiben. Wird das gar mittags gegessen, hinterher noch auf den schönen Rebwegen um den Tüllinger Berg gewandert, raunt der „Zucker-Gott“ gnädig: „Es ist wohl getan“.
„Ochsen“
Adresse: Dorfstraße 82, 79 576 Weil am Rhein/Ötlingen
Öffnungszeiten: Samstag bis Mittwoch mittags und abends. Donnerstag und Freitag ist zu.
Kontakt: 07621/62 228