„Bornheimer Ratskeller“: Selbstversorger

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„Bornheimer Ratskeller“: Selbstversorger

Das Echt essen-Gasthaus im Juli: Das Frankfurter Apfelweinlokal kennt seine Produzenten genau und kocht anspruchsvoll gut-bürgerlich. Vorbildlich!

Drei deutsche Großstädte glänzen mit einer typischen Gasthauskultur: München mit Bierburgen, Köln mit Kölsch-Kneipen und Frankfurt mit Apfelweinlokalen. Kulinarisch waren diese Gasthäuser trotz des großen Publikumszuspruchs meist eher anspruchslos. Doch das ändert sich gerade erfreulich: In München haben die Wirte um das Hofbräuhaus eine Genossenschaft gegründet, um wieder den traditionellen Chiemgauer Weideochsen zu züchten. In Köln kocht das Brauhaus Johann Schäfer mit den klassischen Zutaten einer Wirtshausküche hochwertig.

Gasthaus mit eigener Wurstküche: „Bornheimer Ratskeller“

In Frankfurt hat der Koch und Metzgergeselle Mario Furlanello 2018 den beliebten, aber lange leer stehenden Bornheimer Ratskeller von der Stadt Frankfurt gepachtet. Nur behutsam hat der langjährige Betreiber einer Kochschule das traditionelle Anwesen saniert. Radikal hat er dafür das kulinarische Konzept erneuert: So kommt hier ein Großteil der Waren von Produzenten, die der Koch persönlich kennt, sodass er quasi Selbstversorger ist.

Es ist eine ausgesuchte Palette bester Produzenten von Gärtnereien, Gemüsebauern, Fisch-, Geflügel-, Rinder- und Schweinezüchtern bis hin zu einer Molkerei. Eine vorbildliche Leistung und eine aufwendige: Runde vier Jahre hat es gedauert, dieses Netzwerk zu knüpfen. Wer sich mit den Erzeugern näher befasst, merkt schnell, das sind alles Leute, die hinter der Sache stehen – so wie auch Mario Furtanello.

Im Schutz prächtiger Kastanien: Gastgarten

Ein sattes Plus in dieser für die Gastronomie so schwierigen Zeit ist der sehr große Gastgarten mit seinen mächtigen Bäumen. Flink bringt der freundliche Service das „Stöffche“, den Äppelwoi, im 6er-Bembel auf den Tisch, was sechs gerippten Gläsern zu 0,3 Litern entspricht und 13,20 Euro kostet. Aus der Grießheimer Traditonskelterei Nöll stammt der sehr süffige Apfelwein, den wir nur sehr sparsam mit Sprudel, dem „Bembelwasser“, mischen, um einen möglichst unverfälschten Genuss zu haben.

Wer mag, findet auch feine bayerische Biere vom Fass und gute Weine aus Rheinhessen für runde 25 Euro die Flasche.

Hat Suchtpotential: Gänserillette auf Sauerteigbrot

Selbst gemacht wird vieles im Ratskeller. So wird Wild, werden Schweine zerlegt, wo dann in der eigenen Wurstküche etwa Lyoner für den Wurstsalat hergestellt wird, und auch der Schinken reift in eigenen Räumen. Natürlich wird auch das Brot selbst gebacken, etwa das wunderbare Sauerteigbrot für das süchtig schmelzige Rillette von Gänsen der Familie Antony aus der Wetterau nördlich von Frankfurt. Eine wunderbare Vorspeise für 4,70 Euro.

Hessens Nationalgericht mal anders: Handkäse

Aus der Odenwälder Privatmolkerei Hüttenthal stammt der Handkäse, der mit in Essig mazerisierten Zwiebeln serviert wird und 6,50 Euro kostet. Das ist keine ganz typische Variante des hessischen Nationalgerichts, weil er im Kern noch relativ fest ist. Aber so schmeckt das Ganze eleganter.

Dreifaltigkeit: Presskopf, Kartoffelsalat, Lauchöl

Dass Tiere komplett verarbeitet werden, ist das Gebot der Stunde. Viele postulieren es, Mario Furlanello macht es und verwertet auch den Kopf zu Presskopf, der auf einem wohl schmeckenden Kartoffelsalat ruht und von Lauchöl umspielt wird. Bedeckt wird das Ganze von säuerlicher Vinaigrette mit kleinem Salat. Ein interessantes Gericht für 6,50 Euro.

Sehr aufmerksam: Weil es dauert, bis manche Gerichte kommen, gibt´s aufs Haus in Calvados eingelegte Mispeln, ein Vitamin reiches, seltenes Obst, das hier perfekt gereift ist.

Über Nacht gekocht: Brust vom Charolaisrind

Auf kräuterreichen, weiten Weiden im Westerwald und im Vogelsberg grasen die Rinder in natürlichen Herdenverbänden vom Hofgut Rehbachtal nördlich von Wetzlar. Es sind Kreuzungen aus den besonders wohlschmeckenden Charolais-Rindern. Herrlich mürbe ist die gekochte Brust, das Ergebnis einer aufwendigen Zubereitung: Erst wird das Fleisch rundum angebraten und dann über Nacht bei niedriger Hitze gekocht. Serviert wird das 18,50 Euro kostende Gericht mit einer richtig guten grünen Soße und gebratenen Kartoffeln.

Es lohnt sich, die Homepage www.hofgut-rehbachtal.de vom Hofgut Rehbachtal anzuschauen. „Eine Frage der Haltung“, heißt es da – und das ist wunderbar doppelbödig: Denn zum einen wird gezeigt, wie natürlich die Tiere dort aufwachsen, und es wird daran erinnert, dass auch wir Gäste und Konsumenten endlich so viel Haltung zu zeigen haben, dass diese Anstrengungen auch ausreichend gewürdigt werden.

 

Architekt, Koch und Metzger: Mario Furlanello

Architektur hat der Wirt ursprünglich studiert, was signalisiert, dass er ein breites Interessenfeld hat. Seinen Beruf sieht er eher als Berufung, denn er sagt ganz offen im FAZ-Interview, dass das Geld bei ihm nicht im Vordergrund steht. Überhaupt spricht er sehr offen auch über das, was mal nicht so gut läuft, denn es ist nicht leicht, in Küche und Service die nötige Konstanz hinzubekommen.

Aber ich bin überzeugt, dass es ihm gelingen wird. Denn da ist einer, der in sich ruht, der fest daran glaubt, dass dem ordentlichen, also aufwendig gekochten Essen zu bezahlbaren Preisen die Zukunft gehört. Und da ist einer, der auch nach einem anstrengenden Tag noch in Windeseile sein schalkhaftes Lachen für ein Foto parat hat.

Hochamt für Hersteller: Erzeugertag

Etwas ganz Besonderes plant Mario Furlanello für den 6. September 2020: Da will er in seinem großen Gastgarten seinen dritten Erzeugertag mit rund zehn Herstellern veranstalten. Eine großartige Idee, so können sich die Gäste einen persönlichen Eindruck davon verschaffen, wo die Ware herkommt und die Arbeit der Landwirte würdigen. Das Ganze dauert von 14 bis 18 Uhr.

Mögen die Viren dem Vorhaben gnädig gestimmt sein!

Fazit: Ausgerechnet in der Großstadt Frankfurt wird die Landgastronomie neu erfunden.

Symbol der Äppelwoikultur: Bembel

„Bornheimer Ratskeller“

Adresse: Kettelerallee 72, 60 385 Frankfurt

Öffnungszeiten: Derzeit wird in zwei Schichten gewirtet: Von 17 bis 19 Uhr 30 und von 20 bis 23 Uhr. Montag ist zu.

Kontakt: 069/79 37 03 00

www.ratskeller-bornheim.de

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