„Meeresfrüchte“: Puro Mare
Das Echt essen-Gasthaus im Januar: Das Restaurant in Cuxhaven serviert aus dem eigenen Geschäft superfrischen Fisch ohne Schnickschnack. Plus: Ahoi Helgoland!
Es ist ein Jammer. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten war Cuxhaven einer der größten europäischen Standorte für die Fischerei. Doch das ist längst Vergangenheit. Einige Krabbenkutter dümpeln noch im Alten Fischereihafen, der zu einem Lifestyle-Quartier umgebaut werden soll. Auch sind die großen Fischhallen noch zu sehen, aber sie haben ihre wahre Bestimmung längst verloren. Leider ist Cuxhaven kein Einzelfall, sondern nur ein besonders deutliches Symptom für eine Entwicklung, die sich überall an der deutschen Nordseeküste beobachten lässt: Von Borkum bis Sylt, von Emden über Bremerhaven, Büsum bis Husum gibt es keine nennenswerte heimische Fischerei mehr.
Der Rest der Fischerherrlichkeit: Krabbenkutter in Cuxhaven
Das ist höchst beklagenswert, weil es neben Wild kein anderes natürliches Lebensmittel gibt, das so gesund und so vital ist. Was mich wundert: Niemanden stört das wirklich, gerne geredet wird nicht über das Thema, die örtlichen Gastronomen und Fischgeschäfte flunkern lieber Fischerlatein, rücken nur auf sehr präzise Nachfragen mit der Sprache heraus – und sagen meist: „Ja, wir fangen nichts mehr, aber schuld daran sind die Holländer“. Soll heißen, die niederländischen Kutter fangen die Fische, und die Deutschen haben, bis auf den Krabbenfang, das Terrain freiwillig preisgegeben.
Lebt Fisch, liebt Fisch: Michael Ditzer
„Sag mir, wo die Fische sind, wo sind sie geblieben?“. Das frage ich Michael Ditzer, sicher einer der profundesten deutschen Fischexperten. Ein höchst vitaler Endfünfziger, der Fisch liebt, der Fisch lebt. Der mir auf dem Smartphone zeigt, wie er weltweit mit Fischern redet, frische Krustentiere auch schon mal roh verzehrt, „die zucken noch“. Aber auch er, der hautnah Höhen und Tiefen der deutschen Fischkultur erlebt hat, kann mir nicht wirklich schlüssig erklären, warum der Fischfang bei uns verschwunden ist. Immerhin: Er arbeitet mit kleinen Fischern zusammen, die wieder die Tradition der Küstenfischerei neu beleben wollen.
Fischladen- und Restaurant vom Feinsten: „Meeresfrüchte“
Das ist Zukunft, wichtiger ist die Gegenwart: Und da begeistert seine „Meeresfrüchte GmbH“ mit einem überzeugenden Konzept: Zusammen mit einem Partner betreibt er in der Fischhalle X einen Dreifachbetrieb aus Fischverarbeitung, Fischgeschäft und Fischrestaurant. Das Fischgeschäft zählt zu den besten in Deutschland, führt absolut frische Ware, die zum größten Teil aus Dänemark stammt. Gerne werden auch die wertvollen Beifänge der Krabbenkutter aufgekauft und alles wird äußerst sachkundig präsentiert. So kann mir Verkäufer André Chania zu jedem Fisch die genaue Herkunft, die optimale Zubereitung erklären, ein Segen.
Zum Reinbeißen: Frische Fische in der Theke
Direkt neben der Verkaufstheke liegt das großzügige und helle Gasthaus mit seiner offenen Küche. Zwei Mal haben wir das gut zehn Minuten vom Bahnhof entfernte Lokal besucht, das im Gegensatz zum Laden nur über Mittag rund drei Stunden geöffnet hat. Beim ersten Mal haben wir die beiden Suppen probiert: Hinreißend die heiße, klare Fischbrühe mit frischem Gemüse und der Einlage von Hecht, Rotbarsch und Schellfisch. Auch gut die mit Butter und Mehl gebundene Krabbensuppe für 6,90 Euro, die ich mir noch etwas „krabbiger“ vorstellen könnte. Aber wichtig: Die Krabben wurden nicht nach Marokko oder Polen zum Pulen geschickt, sondern vom nahen Fachgeschäft Kocken maschinell geschält.
Sinnlicher Dreiklang: Brühe, Fisch und Gemüse
Sehr lobenswert: Das Restaurant führt nur wild gefangene Fische, außer es besteht jemand auf Aquakultur aus dem Geschäft, denn alle Fische in der Theke werden auf Wunsch wunschgemäß zubereitet. Ich bestelle von dort einen Skrei, den großartigen Winter-Kabeljau – und hätte ihn gerne gedämpft. Das ist keine gute Idee, denn der erfahrene Fischkoch Hans-Peter Funk, der die Ferienvertretung übernommen hat, brät Fisch fast ausschließlich. Mein Skrei wird zwar perfekt gedämpft, fällt wunderbar glasig auseinander, ist aber kaum gewürzt und die Matschkartoffeln und das zwar bissfeste, aber eher fade Gemüse bieten noch viel kulinarische Luft nach oben.
Erreicht Sterneniveau: Garnelen, Graupenrisotto, Chutney
Besser gelingt aus dem kleinen Heilbutt-Menü für 32,90 Euro der gebratene Fisch mit perfektem, gut gepfeffertem Kürbisrisotto und elegantem Zitronen-Minz-Pesto. Auch die Crème Brulée erfüllt alle Kriterien einer guten Gastronomie. Ein echtes Highlight sind die zwar aus Argentinien stammenden roten Garnelen mit einem Rote Bete-Gerstengraupenrisotto, plus einem hinreißenden Apfelchutney für korrekte 9,90 Euro. Großartig die zart-süßen Garnelen, die wunderbar mit dem wenig süßen Chutney harmonieren.
Schwimmen sogar in der Nordsee: Zarte Calamares
Beim zweiten Besuch verlassen wir uns auf die Empfehlungen von Michael Ditzer und genießen für 10,90 Euro seltene Calamares aus der Nordsee, serviert mit fast zu dominanten Kapern und wieder dem großartigen Graupenrisotto. Es folgen bissfeste und trotzdem saftige Bäckchen vom Seeteufel für 21,90 Euro. Die Bäckchen, ein Gedicht, der sehr frische, nicht zu süße Salat knackig, die Schwarzwurzeln, na ja. Aber „Meeresfrüchte“ ist halt spezialisiert auf puren Meeresfisch – und den am besten gebraten.
Fazit: Wer extrem frischen Fisch perfekt einkaufen und auf den Punkt zubereitet haben will, wird hier glücklich.
„Meeresfrüchte“
Adresse: Niedersachsenstraße, Halle X, Abt. 91-92, 27 472 Cuxhaven
Öffnungszeiten: Laden: Mo bis Fr von 8 bis 17 Uhr. Samstag: 8 bis 14 Uhr. Restaurant: Mo bis Sa: 11 Uhr 30 bis 14 Uhr 30
Kontakt: 04721/72120, www.meeresfruechte-cuxhaven.com
Es gibt auch einen sehr gut sortierten Onlineshop: www.1afisch.de
Löblich: Das Restaurant wird empfohlen vom „Slow Food Genussführer“
Tipp: Ein äußerst herzlicher und aufgeweckter Service machen in Cuxhaven-Duhnen das „Badhotel Sternhagen“ zu einer Wohlfühloase. Im Restaurant „Schaarhörn“ mit seiner grandiosen Aussicht aufs Meer schmeckt die Suppe von der Petersilienwurzel grandios, ist die gute Brühe leider nicht heiß genug, ist der Heringseintopf tadellos. Nur beim Labskaus verlassen den Koch alle Küchengeister, und er knallt in seiner Verzweiflung zu viele kleine Rollmöpse auf den Teller und vergisst dafür in seiner Corned-Beef-Matsche weitgehend die essentiellen Roten Bete. Aber es gibt noch das Sternerestaurant „Sterneck“, wo gut gekocht werden soll.
Ahoi Helgoland: Künftiges kulinarisches Paradies?
Gute zweieinhalb Stunden dauert von Cuxhaven die Fahrt mit dem eleganten Schiff „Helgoland“ zu Deutschlands einziger Hochseeinsel. Schon immer hat die einzigartige Lage des rotfelsigen, 60 Meter hohen Eilands mit seinem milden Golfstromwetter und der heilkräftigen Luft bei den Nachbarn Besitzgelüste geweckt, sodass sich Deutsche, Dänen und Engländer mit der Herrschaft kriegerisch abwechselten. Besonders schlimm traf es die Insel im zweiten Weltkrieg, wo Helgoland von den Deutschen zur Festung ausgebaut wurde – und anschließend von den Engländern bombardiert und zur Ödnis gesprengt wurde.
Deutschlands meist fotografierter Felsen: „Lange Anna“
Erst 1952 durfte die vertriebene Bevölkerung zurückkehren. Doch anstatt wie in den 1930er Jahren, wo Helgoland mit prächtigen Bauten als elegantes Seebad noble Kurgäste aus ganz Europa anzog, entschieden sich die Bewohner für eine eher kleinteilig-bescheidene Bebauung. Trotzdem boomte die Insel in den folgenden Jahrzehnten, vor allem durch hohe Steuer- und Zollprivilegien. Es entstand ein gigantischer Butterfahrtentourismus, begleitet von Badegästen, die auf der sandigen Nachbarinsel „Düne“ paradiesische Strände vorfinden, wo sich auch wunderbar Robben beobachten lassen.
Auch sie lieben das milde Meeresklima: Robben
Immer noch kommen die Badegäste gerne, aber die Butterfahrten machen keinen Sinn mehr, da nur noch Zigaretten nennenswert billiger sind. So bieten die zahlreichen Parfümerie-, Schnaps- und Geschenkläden ein eher trauriges Bild, vieles wirkt leicht ramponiert, aus der Zeit gefallen – und die Insel bräuchte eine neue Geschäftsidee. Das sehen zwar die stolzen Insulaner nicht so, aber langfristig müssen sie sich neu aufstellen. So fehlt vor allem eine erwähnenswerte gastronomische Kultur. Selbst im guten Restaurant „Rickmers Insulaner“ gibt es wenig frischen Fisch, schmeckt am besten die geschmorte Ochsenrippe, wird der begehrte Hummer nur nach aufwendiger, nicht angekündigter Vorbestellung serviert.
Wächst überall wild: Wohlschmeckender Kraftkohl
Für ein kleines kulinarisches Wunder bietet Helgoland prächtige Voraussetzungen: Würde die traditionelle Fischerei wieder betrieben, die inzwischen auf einen Krabbenfänger geschrumpft ist, gäbe es ein einzigartiges Angebot an frischem Meeresfisch. In den Sockeln der vielen Windräder, die für gute Einnahmen sorgen, finden die Hummer ideale Lebensbedingungen. Auch ließen sich die ursprünglichen Austernbänke wieder anlegen und überall auf der Inseln wächst intensiv schmeckender Kohl und selbst im Winter habe ich viele wilde Kräuter entdeckt – alles Zutaten einer modernen Vitalküche. Selbst Kühe und Schafe weiden auf den saftigen Wiesen des Oberlands.
Küsst er Helgoland kulinarisch wach? Johannes King
Das größte gastronomische Pfund sind aber die reichen Vorkommen an Algen und Tang, beides Lebensmittel, denen eine große Zukunft in der Küche prophezeit wird. Alle diese Schätze erfolgreich kulinarisch zu nutzen, wird den Bewohnern der Insel nicht gelingen, dafür sind sie zu konservativ. Das muss schon jemand von Außen machen, der bereits gezeigt hat, wie sich mit Einheimischem eine hochstehende Genusskultur entwickeln lässt.
So einer wäre Johannes King, der mit seinem „Söl’Ring Hof“ in Sylt bewiesen hat, wie mit einfachen Viktualien, etwa meerwassersatten Pflanzen, großartig gekocht werden kann. Wie er das macht, habe ich vor einigen Jahren beschrieben.
Klingt utopisch? Ist es aber nicht, wie eine Geschichte beweist, die mir ein Hotelier erzählt hat: Immer wenn der Krabbenkutter zurückkommt, hat er auch wertvolle Fische als Beifang an Bord. Sofort spricht sich das wie ein Lauffeuer bei den Einheimischen herum, die dann alle die frische Ware kaufen wollen. Also, werte Helgoländer, rausfahren. Und wenn’s die eigenen Leute nicht machen, dann halt holländische oder dänische Fischer anheuern. Der Bedarf ist da!