„Dorfwirt“: Beherzt

„Dorfwirt“: Beherzt 2560 2104

„Dorfwirt“: Beherzt

Ein zugewandter Service, eine raffiniert-bodenständige Küche: Das Bilderbuchgasthaus in Unterammergau rockt die Heimat

Von außen ist alles ganz normal. Grüne Fensterläden, Geranien. Nur der rote Teppich sticht heraus. Von innen ist vieles anders: Zwar ist feinbürglich mit Tischdecke eingedeckt. Aber die vielen Magnum-Flaschen signalisieren, dass hier eine ganz besondere Dorfwirtschaft wirtet. Auch entsprechen die modernen Bilder an den Wänden nicht dem üblichen dörflichen Kunstgeschmack.

Alles so schön idyllisch hier. Wirklich?

Besonders gefallen mir die charmant-erotischen Arbeiten der Münchner Künstlerin Josephine Kaiser, die Scherenschnitte mit Hinterglasmalerei kombinieren, was sie „Kaiserschnitte“ nennt. Ein wenig erinnert mich das an den badischen „Spielweg“ mit seiner legendären Stube von Tomi Ungerer, dem deftigen Elsässer Erotomanen. Wer den Lebensweg des Wirtes Thomas Zwink kennt, versteht besser, was hier passiert: Der gebürtige Oberammergauer verließ früh die Heimat, tourte als Boulevardfotograf durch die Welt, hatte Cafés in München – und seit rund zehn Jahren wirtet er in Unterammergau mit seiner Frau Brigitte Zwink.

Kommt raffiniert zur Sache: Josephine Kaiser

Wie es sich für ein unkonventionelles Gasthaus gehört, gibt es hier keine Speisekarte, sondern einige Menüangebote. Wir entscheiden uns für vier Gänge, was jeweils mit fairen 80 Euro zu Buche schlägt. Der Hammer ist die Einstimmung: Fluffiges Brot vom Hamburger Kultbäcker Jochen Gaues, der wohl besser bäckt als wirtschaftet, mehrfach schlitterte er schon in der Insolvenz herum. Belegt ist das grandiose Brot mit hauchdünn aufgeschnittenem Lardo von den eigenen Mangalitza-Wollschweinen, schmelzig-süffiges Fett zum Niederknien. Leider mussten die zehn Schweine wegen den Corona-Lockdowns, drohenden Tierseuchen geschlachtet werden – aber es keimt Hoffnung.

Stulle in Bestform: Belegt mit eigenem Lardo

Sicher, die Idee mit einem Weinzimmer statt einer Weinkarte ist nicht neu – aber mir gefällt es immer wieder, vinophil zu stöbern. Vor allem, wenn die rund 180 Weine so sachkundig ausgesucht und so gastfreundlich bepreist sind. Auf Deutschland und Österreich konzentriert sich das Angebot – und so wähle ich einen herrlich gereiften 2016er Riesling vom Rheingauer Paradeweingut Robert Weil und einen 2017er Blaufränkisch vom Burgenländer Weingut Moric, der in ein paar Jahren noch besser schmecken würde. 36 Euro kostet der eine Wein, 39 Euro der andere – und beide Preise gehen absolut in Ordnung.

 

 So soll die „Weinkarte“ sein: Sinnlich

Begeisternd der ungemein zugewandte Service durch Brigitte Zwink und ihre genau so formidabel aufgestellte Mitarbeiterin. Aber auch der Chef taucht immer wieder im Gastraum auf, erzählt mit großer Grandezza herzerfrischende Geschichten zu den Kunstwerken, obwohl er an dem Abend praktisch alleine rund 20 Couverts rausschickt, ein absoluter Vollprofi.

Grandios seine dünn aufgeschnittenen Ochsenbäckchen, veredelt mit französisch-raffinierter Sauce Gribiche aus hartgekochten Eiern, Kapern und Gewürzgurken. Dazu eine Kimchi-Mayonnaise. Alles wunderbar, nur die Pasta Fregola Sarda hätte ich nicht gebraucht, denn so wird das Gericht etwas mastig, was den Blutzucker ansteigen lässt. Aber egal, wir sind hier nicht auf Diät, sondern zum Schlemmen – und das gelingt trefflich!

 

Ein ungemein raffiniertes Gericht: Ochsenbäckchen

Leichter der folgende Gang, ein saftig gebratener Zander aus dem Bodensee, dem halb roher Fenchel einen frischen Kick verleiht. Es folgt noch eine perfekt saftige Poulardenbrust von einem Bauernhof aus Uffing am nahen Staffelsee. Begleitet wird das Geflügel von Spitzkohl, dem Harissa und Olivenöl einen weltoffenen Touch verleihen. Hier rockt einer die Heimat, ohne ins Heimatliche zu verfallen. Ach ja, die meisten Viktualien kommen aus der Nähe, ein lobenswertes und zukunftsträchtiges Produktverständnis, weshalb der „Dorfwirt“ zurecht auch im Slow Food-Genussführer einen Ehrenplatz einnimmt.

Spannend die cremig-intensiven Käse vom Kemptener Käse-Guru Thomas Breckle („jamai“-Käse), wo in einem einzigartigen Naturkeller vornehmlich Käse von kleinen Bauernhöfen affiniert werden und in Ruhe reifen.

Kürzlich noch im Bodensee geschwommen: Zander

Eine verschworene Gemeinschaft sind Brigitte und Thomas Zwink, was auch das Foto zeigt, das von Lebenslust nur so sprüht. Es ist diese Lebenslust, welche den „Dorfwirt“ so besonders macht. Es sind wohl vor allem Stammgäste – und ich wundere mich, wie leicht wir untereinander ins Gespräch kommen. So empfiehlt mir die Tischnachbarin den direkt am Staffelsee liegenden „Alpenblick“ in Uffing, was einen Besuch wert sein könnte. Auf jeden Fall einen Besuch wert ist der mit den Zwinks zusammen arbeitende Bauernhof in Uffing, wo vielleicht schon ab diesem Winter wieder rund zehn Mangalitza-Wollschweine aufgezogen werden. Spätestens dann möchte ich noch einmal dieses gastliche und sehr sympathische Haus im wanderschönen Ammertal besuchen.

Ein Herz und eine Seele: Brigitte und Thomas Zwink

Fazit: Heimatküche, die in der Welt zuhause ist.

„Dorfwirt“ in Unterammergau: Donnerstag, Freitag, Samstag ab 17 Uhr. Sonntag von 11 Uhr 45 bis 20 Uhr. www.gasthaus-dorfwirt.com

 

Es ist vollbracht: Schluss der Passion

Die Passionsspiele in Oberammergau haben mich endlich bewogen, den seit Jahren auf meiner Liste stehenden „Dorfwirt“ zu besuchen. Ohne große Erwartungen bin ich in den weltberühmten Ort gefahren – und bin nachhaltig begeistert. Kein christliches Weihefestspiel wird abgespult, sondern die letzten Tage von Jesus sind eine klug bespielte Folie, auf der die immerwährenden Probleme der Menschheit verhandelt werden: Umgang mit Gesetzen und Normen – wer mag, kann an Pandemien denken; Umgang mit Gewalt und Ungerechtigkeit – wer mag, kann an Kriege denken. Vor allem im ersten Teil, der von 14 Uhr 30 bis 17 Uhr läuft, erinnert das rebellische Geschehen an Friedrich Schiller mit seinen Gessler-Hüten, die blinden und sinnlosen Gehorsam einfordern.

Ruhiger und fast schon quälend langsam der zweite Teil, der von 20 Uhr bis kurz vor 23 Uhr dauert. Es ist die Passion, der Leidensweg von Jesus, der aber ins Allgemeine transportiert wird, und der die Lust vieler Menschen erschreckend deutlich macht, andere zu erniedrigen. Das alles zieht einen in Bann, wobei das Ganze auch noch durch die Musik und Chöre vertieft wird. Es ist schlichtweg bravourös, wie diese 5000-Seelen-Gemeinde dieses einzigartige Spektakel stemmt, das übrigens möglicherweise bis zu 500 000 Besucher anziehen könnte – auch eine logistische Meisterleistung.

Noch bis 2. Oktober wird täglich außer Montag und Mittwoch gespielt. Unbedingt hingehen, das nächste Mal findet frühestens 2032 statt. Faszinierend ist in der mitten im Ort liegenden Kirche St. Peter und Paul eine das Festival begleitende Licht-Text-Installation.

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