Carsten Henn: Schöner Scheitern

Carsten Henn: Schöner Scheitern 2560 2118

Carsten Henn: Schöner Scheitern

Der Wein-Experte hat ein geistreiches Buch über seine Fehlschläge verfasst. Wer es liest, weiß alles über Wein

Carsten Henn ist facettenreich. Der Kölner ist Autor erfolgreicher Romane, die es bis in die Bestsellerlisten geschafft haben sowie Verfasser von Theaterstücken. Vor allem aber ist der 49jährige einer der kundigsten deutschen Weinexperten, gern gesehener Gast in Weinjurys, Chefredakteur führender Wein-Führer, Verfasser von über 40 Krimis und Romanen, meist mit Bezug auf Wein und Kulinaristik. Auch hat er einen legendären Keller mit vielen tausend bester Tropfen, außerdem ist er bewunderter und gefürchteter Cheftester beim „Kölner Stadtanzeiger“.

Mehr Erfolg geht nicht – und doch fehlte was: Wie viele Weinenthusiasten (mich eingeschlossen) wollte er endlich einmal seinen eigenen Wein keltern. Ein Vorhaben, mit dem er zurecht krachend gescheitert ist, weil er alle möglichen Fehler gemacht hat – und sogar noch ein paar völlig unmögliche. Das Schöne: Über seine Fehlschläge hat er ein wunderbar geistreiches und selbstironisches Buch geschrieben mit dem enigmatischen Titel „Der Mann, der auf einen Hügel stieg und von einem Weinberg herunterkam“. Kürzlich hat er es in Köln vorgestellt, animierend moderiert von Sarah Brasack, stellvertretende Chefredakteurin beim „Kölner Stadtanzeiger“.

Weinfreunde: Sarah Brasack und Carsten Henn

Kunstvoll verwoben wird da auf 219 Seiten sein Scheitern als Winzer mit der einjährigen Suche nach der Ursache dieser Pleite. Die wesentliche Ursache für den Weinmacher-Flop war die Ausgangslage: Fünf Männer, von denen keiner das harte Handwerk eines Winzers genau kannte (bis auf Henn, der Weinbau studiert, aber nie praktiziert hat); jeder dieser Abenteurer, die sich auch noch untereinander nicht leiden konnten, hatte einen eigenen Plan – und es gab kein gemeinsames Vorgehen, jeder verließ sich meist auf den anderen – und am Ende waren alle verlassen. Henns schonungsloses Fazit: „Fünf sind vier zu viel“.

Völlige Hybris war auch noch der ausgesuchte Weinberg, ein Wingert an der steilen Terrassenmosel, das anspruchsvollste, was der deutsche Weinbau zu bieten hat. Außerdem war es viel zu weit weg von den Wohnorten, meist über zwei Stunden Fahrzeit. Wobei guter Wein nur gelingen kann, wenn ununterbrochen danach geschaut wird. Zu den wirklich unmöglichen Fehlern dieser „avanti dilettanti“ gehört die Episode, dass sie an einem sauheißen Tag ohne ausreichende Getränke unterwegs waren. Scheitern mit Ansage, also. Wobei Henn hier nichts beschönigt, alles mit brutaler, aber höchst sympathischer Offenheit schildert.

Riesling wollte Henn mit seiner Rasselbande erzeugen. Riesling, die weltweit bewunderte deutsche Vorzeigerebe. Riesling, der in seiner trockenen Version auf faszinierende Weise seine Umgebung (das berühmte „Terroir“) und seine Macher reflektiert. Spannend, wie sich Henn dann ein Jahr lang auf die Suche nach der Ursache der eigenen Fehler macht: Er besucht knapp zehn der besten Riesling-Produzenten. Natürlich ist auch das wieder Hybris, der Besuch bei einem handwerklich arbeitenden Winzer hätte genügt. Aber für die Leserschaft ist das natürlich ungemein spannender, lassen sich so doch wunderbare Winzerinnen und Winzer kennen lernen – und es wird spielerisch interessantes Weinwissen vermittelt: Etwa, dass die Reben nur Trauben bilden, um dem Stress der sie zähmenden Menschen zu begegnen.

Jahreszeitlich geschickt aufgebaut sind die Besuche bei den Winzersleuten: So ist er immer für einen Tag im Weingut – und hilft bei typischen Arbeiten, nämlich dem Schnitt der Reben im Frühjahr (das Schwierigste); dem Binden (das Leichteste); dem Präparate rühren (machen nur wenige Winzer); beim Ausbrechen der Knospen, um den Ertrag zu reduzieren; beim Trauben teilen, ebenfalls um den Ertrag zu reduzieren (ist umstritten) und natürlich bei der abschließenden Lese im Herbst.

Ungemein lebendige Portraits sind da entstanden, die immer wieder um die Frage kreisen, wie sich der Charakter der Weinmacher im Wein widerspiegelt. Besonders berührt haben mich die Macher von drei Weingütern, nämlich „Georg Breuer“ in Rüdesheim, „Heymann Löwenstein“ in Winningen und „Peter Jakob Kühn“ in Oestrich-Winkel.

Theresa Breuer ist eine der wenigen Frauen in Deutschland, die einem Spitzenweingut vorstehen. Kennen gelernt habe ich sie bei einem sehr traurigen Anlass, nämlich am Grab ihres viel zu früh verstorbenen Vaters, dem legendären Bernhard Breuer, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die deutschen Spitzenrieslinge wieder Weltgeltung besitzen.

Bernhards Tod hat mich damals ziemlich berührt, war er doch genau so alt wie ich und ebenfalls Marathonläufer. Noch am Grab sagte mir seine damals 20-jährige Tochter, dass sie das Werk fortführen werde, „das bin ich dem Vater schuldig“. Das Vorhaben ist bravourös gelungen, die Breuer-Weine erringen höchste Bewertungen – und reflektieren offensichtlich die sozial ausgleichende und teamorientierte Arbeitsweise von Theresa Breuer.

Reinhard Löwenstein ist das genaue Gegenteil von Theresa Breuer. Für die einen ist er ein Verrückter, für Henn ein Visionär, denn er keltert in Winningen kurz vor der Moselmündung bei Koblenz in absoluten Steillagen auf winzigen, schwalbennestigen Terrassen trockene Rieslinge von Weltklasse. Politisch gilt der wohl keinem Streit aus dem Wege gehende Winzer als links, als Winzer hat er auch noch Reben, die für mich zu den spannendsten gehören, nämlich wurzelechte. Nachdem die Reblaus um 1870 den europäischen Weinbau weitgehend vernichtete, wurden in der Folge aus Amerika stammende reblausresistende Reben gepflanzt – und darauf die europäischen Edelrebsorten gepfropft. Nur noch wenige Winzer, etwa mein Freund Alois Schneiders aus Pommern an der Mosel, haben solche Ur-Reben, die ein immenses Reifepotential besitzen.

Was mich ebenfalls an Löwenstein fasziniert, ist seine äolische Harfe, eine große metallene Panflöte, deren sechs Rohre aus dem Kellergewölbe herausragen und den Wind in Klang verwandeln, auf dass er die Qualität des Weins verbessere – was Henn bezweifelt, ich für durchaus möglich halte. Aber ich habe auch eine besondere Nähe zu solchen Klangskulpturen, denn mein Freund Trimpin aus Seattle baut genau solche Wunderwerke (eine, die „Jack Box“, gehört mir) und ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Künstler geworden. Trimpin ist übrigens ein Nachbar des Kultwinzers Hanspeter Ziereisen aus Efringen-Kirchen – und ich habe dem Hanspeter eine Trimpin-Skulptur für seinen Weinkeller vermittelt.

Hoffe sehr, dass ich bald einmal nach Winningen komme!

Die Zukunft repräsentiert für mich das Rheingau-Weingut Peter Jakob Kühn. Denn dort wird biologisch-dynamisch gearbeitet, die langfristige Gesundheit des Bodens steht im Mittelpunkt. Das wird künftig immer wichtiger, denn letztendlich ist Weinbau eine extreme Monokultur, was auch dadurch klar wird, dass die Rebstöcke nur 0,6 Prozent der deutschen Landwirtschaftsfläche bedecken, aber 19 Prozent aller Pflanzenschutzmittel beanspruchen, wie die Wein-Universität Geisenheim kürzlich herausfand.

Kritisch beäugt wird die unter dem Namen demeter vermarktete Biodynamie. Das liegt zum einen am Begründer, dem Anthroposophen Rudolf Steiner. Zum anderen an der Praxis, in Kuhhörnern vergrabenen und auf diese Weise transformierten Mist in Wasser einzurühren und die damit dynamisierten Präparate auf die Reben zu sprühen. Das lässt sich natürlich leicht bewitzeln, was auch Henn tut – und das Kapitel mit „Gequirlte Scheiße“ überschreibt. Das ist natürlich Scheiße, werter Carsten Henn, denn immer mehr Topweingüter stellen auf diese Wirtschaftsweise um, weil sie gesunde Böden und bekömmliche Weine garantiert.

Trotz der despektierlichen Überschrift ist der Text über das Weingut aber erfreulich informativ. Schwärmerisch lobt er die Weine, entdeckt in ihnen eine „fast transzendente Ruhe“ und „ein Geheimnis, das einen berührt und trotzdem nicht zu fassen ist“. Und mit großer Ehrfurcht beschreibt er, wie er persönlich mit dem Sohn Peter Bernhard den transformierten Mist in einen Bottich einrührt und beim Ausbringen der Präparate auf die Reben beschreibt er lobend die Wirkung: „Regt die Bodenaktivität an, fördert Wurzelwachstum, aktiviert das Eigenleben des Bodens, unterstützt die Bodenlockerung, die Wasser- und Nährstoffaufnahme“. Geht doch, Carsten Henn!

Großer gereifter Riesling: J.B. Becker von 1988

 

Was eine öde Aufzählung von Weingütern hätte werden können, gerät bei Carsten Henn zu einer originellen Schilderung der einzelnen Weingüter, die einem plastisch vor Augen geführt werden. Die Texte lassen erahnen, welche Anstrengungen und Mühen nötig sind, um wirklich große trockene Rieslinge entstehen zu lassen. Geschickt eingestreut sind immer wieder wunderbare Weinweisheiten, dass es etwa eine Mär ist, dass die berühmten Sommeliers tatsächlich blind jede Herkunft erraten; dass die teuren Weine immer die besten sind, was er an einem Beispiel erläutert: „Verkosten Sie solch eine Legende in einer Blindprobe, dann wird sie Ihnen vielleicht besser schmecken als der Wein, der ein Zwanzigstel des Preises kostet, aber niemals, das garantiere ich Ihnen, wird sie zwanzigmal so gut schmecken“.

Immer wieder baut er Cliffhanger, baut er Spannungsbögen ein, mit Vorliebe um „Vanessa“, seine kapriziöse Lebensgefährtin, die nicht die Mutter seiner beiden Kinder ist. Sie bei guter Laune zu halten, ist sein ständiges Bemühen, das aber allzuoft scheitert. Das Ganze ist eine kleine Liebesgeschichte, die das Buch sehr menschlich macht. Überhaupt ist der Autor permanent im Dialog mit sich selbst – ein Dialog, in den er wie selbstverständlich den Lesenden spielerisch mit einbezieht. Vergnügliche Poesie.

Wer das Buch gelesen hat, weiß alles über Wein. Na ja, fast alles. Vor allem aber weiß er nicht, wie solche großen Rieslinge schmecken können. Denn verkauft werden in den meisten Fällen junge Weine, die meist noch sehr viele Jahr brauchen, um ihr wahres Potential zu entfalten. Empfehlen kann ich hier die „Raritätenkarte“ des „Weingasthauses Rüdesheimer Schloss“, das dem Weingut Breuer gehört und 450 seltene Weine aus dem 20. Und 21. Jahrhundert listet. Ebenfalls empfehlen kann ich das 125 Jahre alte Rheingauer Weingut J.B. Becker, wo auch noch gereifte Weine gekauft werden können, am besten bei den legendären Verkostungen im eigenen Weingarten direkt am Rhein.

Weitgehend gescheitert ist Carsten Henn („weitgehend“, weil sich zum Ende noch eine überraschende Wendung ergibt) mit seinem eigenen Weingut in Adelgund an der Terrassenmosel. Gescheitert ist Carsten Henn auch mit seinem Versuch, die Formel für den perfekten großen trockenen Riesling zu finden. Denn diese Formel kann es nicht geben, weil gottseidank jedes Weingut höchst individuell arbeitet. Am Ende des Buches hat der Weinexperte 26 Regeln aus seinen Gesprächen mit den Winzern destilliert. Würde danach Wein gekeltert, wäre das wahrscheinlich eine untrinkbare Brühe. Im Prinzip hätte er sich die einjährige Arbeit sogar sparen können, was uns aber ein höchst lesenswertes Buch vorenthalten hätte.

Denn bereits sein erster Weingutsbesuch bei dem Ausnahmewinzer Klaus Peter Keller aus Rheinhessen, wo eine Flasche ab Hof schon einmal tausend Euro kosten kann, definiert den perfekten Rahmen für wirklich legendäre Weine:

 „Alte Reben, bester Boden, optimaler Vegetationsverlauf und ein Winzer, der den richtigen Erntezeitpunkt wählt und den Dingen im Keller seinen Lauf lässt, weil er im Weinberg vieles richtig gemacht hat. Das führt zu großen Weinen. Und natürlich muss der Winzer über Jahre gut getrunken haben und wissen, was für ihn einen wirklich großen Wein ausmacht“.

„Gut getrunken haben“, das gefällt mir. Noch besser gefällt mir, wie die Kölnerin Surk-ki, Händlerin für die angesagten Naturweine, einen großen Wein definiert:

 „Grinser im Gesicht und Flasche leer“.

Alles gesagt? Nein, es fehlt noch etwas Eigenlob:

Auch ich wollte vor vielen Jahren mit einem befreundeten Winzer eigenen Wein erzeugen. Allerdings habe ich mich klugerweise fokussiert auf den Kauf der Lemberger-Reben (der geringste Ausgabeposten beim Anlegen eines Weinbergs), das Setzen der Pfähle (harte Arbeit!) und die Hilfe beim Herbsten (wenn´s schön ist, ist´s schön), wie wir Markgräfler die Weinlese nennen.

Das eigentliche Weinmachen hat aber dann der erfahrene Lörracher Winzer Karlheinz Ruser übernommen, dessen Gutedel, dessen weiße Burgunder und vor allem seine Spätburgunder ein ungemeines Reifepotential besitzen – so gibt es sogar noch einen Roten aus dem legendären Jahr 2003. Alle übrigens „badisch trocken“, also mit weit unter vier Gramm Restzucker. Höchst kreative Homepage www.weinbau-ruser.de

Am Ende einer langen Weinreise mit Carsten Henn ziehe ich folgendes

Fazit: Wer lesevergnüglich entdecken will, warum große Weine Kultur sind, wird mit dem Buch glücklich.

Carsten Henn, „Der Mann, der auf einen Hügel stieg und von einem Weinberg herunterkam“. Dumont, 20 Euro

Kluges Buch, feiner Wein: Carsten Henn und Weingut Georg Breuer

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