CGM: Kraft der Kurve
Kontinuierliche Systeme zur Messung des Blutzuckers verbessern die Diabetes-Kontrolle. Ein persönlicher Erfahrungsbericht
„Fit wie ein Diabetiker“ heißt mein 2004 erschienener Bestseller. Mit über 60 000 Exemplaren und sieben Auflagen gehört das Buch zu den meist verkauften Diabetes-Ratgebern. Mit „Messen. Essen. Laufen“ beschreibt es meinen Weg, den Lifestyle Diabetes aktiv zu zügeln – und gleichzeitig beschreibt es eine Methode, die sehr vielen Menschen geholfen hat, ihren Typ 2-Diabetes in den Griff zu bekommen. Über 15 Jahre habe ich das sogar geschafft, ohne Medikamente nehmen zu müssen.
Nach einem schweren Schlaganfall vor rund zwei Jahren, dem monatelange Krankenhausaufenthalte folgten, nehme ich inzwischen das Standardpräparat Metformin und spritze derzeit auch morgens Insulin. Zwar kann ich mich inzwischen wieder ganz gut bewegen, gehe auch ins Fitness-Studio, aber immer noch hinke ich stark und an Joggen oder Radfahren ist leider nicht zu denken. So kompensiere ich die fehlende intensive Bewegung im Vergleich zu früher jetzt durch die Medikamente. Aber ich will nicht klagen, angesichts dessen, was ein Stroke auch anrichten kann, bin ich bis jetzt ordentlich davon gekommen.
Optimale nächtliche Blutzuckerkurve: Alles im grünen Bereich
Eine bahnbrechende technische Entwicklung erleichtert seit einigen Jahren die Anwendung meiner Methode: Die kontinuierliche Blutzuckermessung, die auf englisch Continuous Glucose Monitoring CGM heißt. Dabei wird 24 Stunden lang, also auch nachts, der Blutzucker gemessen. Zwei amerikanische Firmen dominieren den Markt, Dexcom und Abbott. Dexcom ist etwas teurer und der Sensor hält 10 Tage, das von mir verwendete FreeStyle Libre 3 von Abbott hält 14 Tage und kostet 69,50 Euro. Außerdem kann bei Abbott die Blutzuckerkurve bequem auf dem Smartphone angesehen werden, was dann wie oben so aussieht. Eine beruhigende Kurve, die Werte bleiben im grünen Bereich.
Gerade seit ich Insulin spritze ist das CGM ungeheuer wichtig, denn das von mir verwendete LISPRO von Sanofi zählt zu den „schnellen“ Insulinen, die innerhalb weniger Minuten die Werte bis in den gefährlichen Unterzucker treiben können. Im Unterzucker, also bei Werten von unter 60 mg/dl, wird aber das Gehirn nicht ausreichend mit der lebenswichtigen Glukose versorgt – und wenn das häufiger passiert, drohen irreparable Gehirnschäden, bis hin zur Demenz.
Zwei Mal innerhalb weniger Stunden zu hoch: CGM warnt
Aber es drohen nicht nur Hypos, also gefährliche Unterzuckerungen, sondern auch das Gegenteil, also Hyperglykämie bei Werten von über 250 mg/dl. Dann kann es zu Bewusstseinstrübungen kommen und langfristig können Gefäße geschädigt werden. Wie schnell so etwas gehen kann, zeigt das Beispiel aus meiner aktuellen Messreihe, wobei wohl vor allem der relativ lange anhaltende hohe morgendliche Wert bedenklich ist, während die kurze abendliche Spitze wohl unvermeidlich ist, etwa wenn ich ein Leberwurstbrot esse oder eine Flasche Bier trinke. Bei zwei Gläsern trockenem Wein (also unter 4 Gramm Restzucker) tritt übrigens der gegenteilige Effekt ein, dann sinkt der Wert tendenziell.
Natürlich kenne ich diese Zusammenhänge aus meinen vielen Veröffentlichungen (darunter mehrere Diabetes Bücher) bestens. Trotzdem ist es immer wieder hilfreich, ein CGM-System zu nutzen. Denn die anschauliche „Kraft der Kurve“ ist ein ungeheuerer Motivator – und immer wenn ich wieder einmal zwei Wochen lang das FreeStyle Libre nutze, bessern sich meine Diabetes-Werte deutlich.
Bestens für mein Alter: Langzeitwert von 6,5 Prozent
HbA1c heißt der offiziell etablierte Wert für die zusammengefasste Messung des Blutzuckers über mehrere Wochen. Eine feine Sache mit einem kleinen Nachteil: der Wert kann praktisch nur vom Arzt bestimmt werden. Mit dem Aufkommen der CGM-Systeme rückt deshalb eine weitere Größe in den Fokus: GMI Glukose Management Indikator. Dieser Wert ist tendenziell vergleichbar mit dem HbA1c, und die CGM-Systeme bestimmen ihn automatisch. Als gut gelten Werte von unter 7 Prozent, weshalb ich mit 6,5 ordentlich abschneide.
Alles bestens also? Nicht ganz, denn in der Praxis gibt es natürlich Probleme: So habe ich es erlebt, dass sich ein Sensor entzündet hat, der sofort entfernt werden musste. Jüngst ist es mir passiert, dass beim Anbringen (was sich prinzipiell selbst erledigen lässt) eine starke Blutung entstand, die den Sensor unbrauchbar machte. Auch kommt es vor (und das ist wirklich ärgerlich), dass die Messqualität stark schwankt oder im Lauf der zwei Wochen nachlässt. Tendenziell werden defekte Sensoren ersetzt, wobei die Abbott-Leute gut geschult sind, Fehler erst einmal beim Anwender zu suchen.
Trotz solcher Misshelligkeiten sind die CGM-Systeme äußerst nützlich – und beim Insulin-Einsatz eigentlich zwingend notwendig. In diesen Fällen werden die Kosten wohl auch von den meisten Kassen übernommen. Auch wenn das nicht der Fall ist, lohnen sich die Sensoren. Denn sie vermitteln anschaulich, wie die Stoffwechsel-Lage ist – und wie sie optimierbar ist.