„Perfect Days“: Perfekter Film

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„Perfect Days“: Perfekter Film

Der Kultfilmer Wim Wenders erzählt in „Perfect Days“ ein modernes Märchen, das ins hektische Tokio die Illusion einer ländlichen Idylle zaubert

Große Poesie entsteht manchmal sehr unpoetisch: So wurde der renommierte deutsche Regisseur Wim Wenders nach Tokio eigeladen, damit er einen Dokumentarfilm über Toiletten dreht, die von berühmten Architekten gestaltet waren. Der Meisterfilmer (etwa „Paris, Texas) war ebenfalls angetan von der Vielfalt und den spielerischen Formen, aber er merkte gleich, dass auch sein zugkräftiger Name nicht ausreicht, um über Toiletten etwas Herausragendes zu fabrizieren.

Aber der 78-jährige liebt das fernöstliche Land und so schlug er einen Spielfilm über das Sujet vor. Zusammen mit einem japanischen Autor verfasste er das Drehbuch und gewann den herausragenden Schauspieler Köji Yakusho als Hauptdarsteller. In nur 17 Tagen drehte er den über zweistündigen Film, der eine scheinbar simple Handlung hat: Gezeigt wird die tägliche Routine des Kloputzers (feinfühlig gespielt von Yakusho), der mit Hingabe die schicken Toiletten reinigt und darin seine zufriedene Erfüllung findet. Morgens fährt er mit seinem kleinen Auto zu den verschiedenen Toiletten, abends ist er mit Rad in seinem Viertel unterwegs, das hier mit seinen engen Straßen und Gässchen fast dörflich wirkt.

Genial ist die Strukturierung des Werks: Immer gießt er morgens seine selbst gezogenen Pflanzen; immer macht er seine Mittagspause im selben Park, der mitten in Tokio eine Naturidylle bildet; immer spielt er im Auto eine altmodische Kassette mit Rockklassikern aus den 1970-er Jahren wie das titelgebende „Perfect Day“ von Lou Reed; immer wieder wird der omnipräsente zentrale Fernsehturm gezeigt; immer gibt rätselhafte kleine Filmchen, die märchenhafte Traumsequenzen imaginieren; immer wieder geht er ins selbe Badehaus, wo er sichtbar tiefe Entspannung findet.

Gehört zu den Ritualen: Besuch im Badehaus

„Wie eine Fuge ist der Film gegliedert“, erklärt mir ein befreundeter Musiker. Ein genialer Vergleich, denn das Fugenprinzip, mit dem mehrtönige Musikstücke strukturiert werden, ist kongenial auf den Film übertragen. „Fuga“ bedeutet fliehen, nämlich von einer Stimme zu einer anderen. In „Perfect Days“ ist es Metapher für eine Art Flucht des Hauptdarstellers aus einem früheren Leben, das sich wohl in deutlich besser gestellten materiellen Verhältnissen abgespielt hat.

Schlagartig wird das klar, als in die festgefügten Routinen plötzlich seinen Nichte einbricht, die er ebenso wie seine Schwester wohl ewig nicht gesehen hat. Nur kurz irritiert ist der Hauptdarsteller ob des Teenagers. Dann lässt er das Mädchen an seinen Schlafplatz – und er selbst nächtigt in der Abstellkammer. Sogar seine Arbeitsstelle zeigt er der aufgeweckten jungen Frau und macht mit ihr per Fahrrad einen heiteren Sonntagsausflug zum mächtigen Fluß.

Sonntagsausflug mit der Nichte: Ländliches Tokio

Doch die Idylle währt nur wenige Tage. Dann ruft er wohl seine Schwester an, die abends mit einer teuren Limousine ihre Tochter abholt. Während das Mädchen mißmutig packt, fragt die Schwester vorsichtig, ob es stimme, dass er Toiletten putzt. Sichtbar stolz bejaht er. Dann entschwebt das Auto dem engen Viertel – und der Protagonist wird von Weinkrämpfen geschüttelt.

Warum bleibt im Dunkeln. Wie so vieles in diesem modernen Märchen bewusst im Dunkeln bleibt – und das ist gut so. Denn so können wir unsere Phantasie schweifen lassen und uns fragen, ob ein Leben in selbstgewählter Genügsamkeit fern der Konsumverlockungen erstrebenswert ist – und ob wir die Kraft zu diesem Schritt hätten.

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