„Ernst“: Private Dinner

„Ernst“: Private Dinner 2560 2131

„Ernst“: Private Dinner

Vier Köche für sechs Gäste: Das Berliner Kultgasthaus serviert Deutschlands mutigste Küche. Konsequent Produkt-fokussiert und vitalisierend

Ein glücklicher Zufall fügte es, dass ich innerhalb von vier Wochen gleich zwei Restaurants besuchen konnte, die einen ähnlichen Ansatz haben: Beste, meist regionale Produkte, möglichst unverfälscht auf den Tisch bringen. Wobei die Restaurants selbst unterschiedlicher kaum sein können: In Valencia das elegant-weitläufige Ricard Camarena, wo viele Dutzend Gäste Platz finden; in Berlin ein klösterlich konzentrierter Raum, wo die Gäste an einem langen Holzbalken sitzen und direkt vor ihnen die vier Köche wirken – was die Atmosphäre eines Meditationsraumes hat.

 Wirkt wie ein Meditationsort: Gast- und Küchenraum

Vor über zwei Jahren war ich schon einmal hier – und inzwischen ist das Lokal noch mal kleiner geworden, grad mal sechs Gäste, wobei es nach der Pandemie wohl zwei mehr werden. Mittlerweile besternt ist das „Ernst“ um den Kanadier Dylan Watson-Brawn und seinen Partner Spencer Christenson. Gleich geblieben ist, dass es über 30 Gerichte in über drei Stunden gibt – begleitet von hochspannenden Weinen. Erfreulich: Seit langem hat Watson eine deutsche Freundin und versteht die Sprache sehr gut, so dass nicht mehr alles nur auf englisch erfolgt – was die Kommunikation erleichtert.

 

Reduce to the max: Gegrillte Erdbeere

Natürlich kann ich nicht alle Gerichte vorstellen, die in einer ununterbrochenen Folge vor unseren Augen zubereitet und erläutert werden – sodass eine permanente Interaktion entsteht, weshalb Menschen, die einen gemütlichen Abend zu zweit verbringen wollen, sich hier zurecht deplatziert vorkommen. Ganz simpel sind manche Gerichte, wie etwa die gegrillte Erdbeere, die plötzlich noch viel „erdbeeriger“ schmeckt. Wozu vorzüglich der Naturriesling vom Mosel-Weingut Tossen passt.

Über Feigenholz gegrillt: Erbsen

Wie es sich für ein zukunftsträchtiges Restaurant gehört, hat das „Ernst“ einen eigenen Garten, wo wohl das meiste Gemüse, die Kräuter herkommen. Ein Höhepunkt des Menüs sind über Feigenholz gegrillte Erbsen – ein zarter Rauchgeschmack, der mir und Annegret, die mich wie vor zwei Jahren wieder begleitet hat, bis heute in den Nasen ist. Während wir noch von den Erbsen schwärmen geht es spannend weiter: Pimento, gefüllt mit einer Shiitake-Paste, wow!

Große Kleinkunst: Kohlrabi umschließt Zucchini

Wunderbar abwechselnd sind die Aromen: Schmeckt der Pimento leicht und elegant, wirkt der vom Kohlrabi umschlossene Zucchini mit seiner Blüte eher derb – aber so etwas baut Spannung auf. Aufwendig: Für jedes Gericht gibt es einen anderen, vielfach handgefertigten Teller. Kluge Idee, denn die Wertigkeit des Geschirrs unterstreicht die Wertigkeit der Produkte.

Ja, wo ist sie denn? Auster im Algengeflecht

Jeden Tag gibt es ein völlig unterschiedliches Menü, was eine hohe Improvisationskunst verlangt. War es am Vortag rein vegetarisch und damit strikt regional, hatten wir das Glück, dass reichlich Fisch serviert wurde – wie etwa eine frische Auster in der Schale, wobei der danebenliegende Rhabarber nur eins war: Sauer und holzig, aber es kann ja nicht alles gelingen. Dramatisch besser eine gegrillte Auster, eingehüllt in karamelisierten Algen – ein Gericht, wofür es wohl irgendwann einen zweiten Stern gibt.

Genuss-gereift ohne zugesetzten Schwefel: Elsässer Riesling

Kongenial akkompagnierend zum zartsüßen Algengeflecht ein gereifter 2012er Riesling von Patrick Meyer aus dem elsässischen Nothalten, wie alle Weine gereicht im einzigartigen Zalto-Glas. Ein biologisch-dynamisch erzeugter Naturwein, der eindrücklich demonstriert, dass hervorragend gemachte Weine auch ohne zugesetzten Schwefel reifen können. Schade, dass es diesen Traum-Tropfen nicht mehr zu kaufen gibt!

 In der Ruhe liegt die Kraft: Dylan Watson-Brawn

Nippon hat den Mann aus Vancouver entscheidend geprägt, denn in jungen Jahren ist es ihm gegen alle Widerstände gelungen, in einem der besten Häuser praktizieren zu dürfen. Was er da gelernt hat, zeigt sich, wenn er natürlich mit einem japanischen Messer einen Bonito kunstvoll tranchiert, wofür japanische Sushi-Meister jahrelang trainieren. Angenehm unaufgeregt geht das alles, der Koch strahlt eine kraftvolle Ruhe aus. Ein wenig erinnert es mich an das legendäre Düsseldorfer „Yoshi“, wo ich ebenfalls zwei Sushi-Meistern zuschauen durfte.

Vital, vitaler, vitalissimo: Bonito

Leicht geräuchert, mit einem Hauch Soja-Sauce verfeinert, so wird hier die aus der Bretagne kommende Thunfischart serviert. Das garantiert nicht nur höchsten Wohlgeschmack für die Liebhaber von rohem Fisch. Das garantiert mit höchstwertigen Proteinen auch eine phantastische Vitalität – eine Küche also, die das Immunsystem auf eine besonders schmackhafte Weise aktiviert. Nicht ganz so prickelnd: Der Fisch wurde eingeflogen, aber heute Abend wollen wir mal nicht die Welt retten.

Reste raffiniert veredelt: Bonito-Abschnitte

Mit Wohlgefallen habe ich gesehen, dass die beim Tranchieren anfallenden Reste mit einem besonders großen Messer klein gehackt werden. Anschließend mit Meerrettich-Paste vermengt – und in einem gedämpften Spitzkohlblatt gereicht, schmeckt das nicht nur hinreißend, sondern sorgt auch dafür, dass von dem wertvollen Fisch nichts verschwendet wird. By the way: Die Schärfe des Meerrettichs unterstützt die Verdauung – und es sind solche bewusst oder unbewusst gesetzten Akzente, welche dieses Menü so verträglich machen. Übrigens genau so verträglich wie das Menü kurz zuvor in Valencia.

Erleuchten den Gourmet-Himmel: Saubohnen

Auch scheinbar schlichte Realien können den Gourmethimmel funkeln lassen: Etwa die gegrillten Ackerbohnen, die in meiner Heimat Saubohnen heißen. Kombiniert werden sie hier mit unreifen Pflaumen, einer Sauce aus den Bohnenschalen und Lorbeer. Verweile doch, du bist so schön – will ich zu dem Augenblick sagen. Aber da naht schon ein Salat von Celsus, eine Art Spargel aus dem eigenen Garten, mit Mairüben-Stielen im japanischen Fischsud Dashi geköchelt.

So wird Salat auch spätabends vertragen: Gegrillt

Es ist ein Feuerwerk an Aromen, die sich aber wohl deshalb nicht stören, weil als durchgängiger kulinarischer Faden die amalgierenden Dashis, Ponzus (Würzsauce auf Zitrusbasis) und Sojasaucen dienen, die hochintensiv und trotzdem schwerelos leicht sind. Viele Gerichte sind schnell vergessen, manche bleiben dafür um so tiefer im kulinarischen Gedächtnis, etwa der gegrillte Salat mit Eigelb und natürlich: Soja. Ach, ja raten Sie mal, wovon die Krümel stammen?

Was, das würzt? Geräucherte Ente

Nicht bloß ein Gag: Denn die getrocknete und geräucherte Ente, frisch über den Salat gerieben, gibt dem Gericht noch einmal zart-fleischige Note.

Ein Hammer: Hummer

Noch so ein Hammergericht, womit das „Ernst“ auf dem Weg zu höchsten kulinarischen Weihen ist: Im Sud aus Ei, Dashi und Ponzu badet ein leichtest gegarter Hummer aus der Bretagne – gekrönt von frittiertem Schnittlauch. Göttlich!

Zucchini auf Zitrus-Zack: Mit Yuzu

Für einen Fischfreak wie mich war der Abend mit dem Lobster, den es auch noch gegrillt gab, mit dem Bonito, von dem auch weitere Variationen serviert wurden, natürlich eine Offenbarung. Aber die Küche kann auch raffiniert Gemüse – etwa über Yuzublättern gedämpfter Zucchini, aromatisiert mit einer Sauce aus den Blättern der Zitrusfrucht.

Klug eingestreut immer wieder Verdauungsförderer, etwa eine gegrillte Zwiebel mit Zwiebelsauce und Miso.

 

 Baden in einer Mandelsauce: Himbeeren

Beeren, sind die große Liebe der „Ernst“-Macher: Fünf mal stehen sie auf dem Programm. Jedes Mal sind es kleine Kunstwerke, die mit klugen Ingredienzien Gutes noch besser machen. Etwa hier die Kombination aus Mandelsud und Dashi.

Könnten aus einer Kunstgalerie kommen: Johannisbeeren

Ist das nicht hinreißend schön? Gegrillte Johannisbeeren, aromatisiert mit Feigenholzöl.

Klug die Getränkebegleitung des Menüs, die immer einen Wein zu vier bis fünf Spezialitäten reicht. Besonders begeistert hat mich zum Schluss der Dessertwein „Ratafia“ aus der Champagne, eine nicht zu süße Assemblage aus Petit Meunier, unfermentiertem Traubensaft und Trester, also Grappa. Passt sogar zu den letzten der vielen Desserts, wo 70-prozentige Sahne, wo Aprikosenkerne und Aprikosen einen fulminanten Auftritt haben.

Wild Things: Erdbeeren aus dem Berliner Umland

Ein faszinierendes, aber auch ein forderndes Menü neigt sich dem Ende – und zum Schluss kommt das einzige Gericht, wo am Produkt kaum etwas verändert wurde: Wilde Erdbeeren in einem Hauch Zucker eingelegt.

Viele Köche für wenig Gäste, beste Produkte, hochwertige Gläser und Teller. Das muss natürlich teuer sein – und es ist teuer. So teuer, dass sich der sonst wenig hasenfüßige „Gault Millau“ nicht traut, den Preis zu nennen. So reiche ich das hier nach: Annegret und ich haben 350 Euro bezahlt – pro Person. Über 100 Euro mehr als in Valencia bei „Ricard Camarena“.

Ist es das wert? Das kann ich nur für mich beantworten. Ja, und solange das „Ernst“ besteht, will ich mindestens einmal im Jahr da sein. Für mich ist das ein Experimentallabor, wo die Grenzen des Essbaren ausgelotet werden. Einzigartig auch die kommunikative Atmosphäre mit diesem angenehm klugen Koch aus Kanada.

Ganz entscheidend ist für mich aber auch die hohe Bekömmlichkeit. Ja, ich fühle mich nach einem „Ernst“-Abend vitalisiert. Könnte ich es mir leisten, würde ich einmal für vier Tage diese Küche genießen – und danach die Vitalparameter messen. Ich bin überzeugt, sie würden sich bessern.

Fazit: Für Freaks, welche die Küche von übermorgen schon heute genießen wollen.

Ernst“, Gerichtstraße 54, 13 347 Berlin-Wedding. Kein Telefon, nur Online-Buchung mit Vorkasse. www.ernstberlin.de

Spät ist es geworden. Leicht erschöpft wirkt die Crew, schließlich hat sie das aufwendige Menü heute zwei Mal zubereitet. Trotzdem verabschieden sich die vier persönlich von ihren Gästen – und als ich nach einem Foto frage, sind die Vollprofis sofort perfekt in Position.

Danke für einen phantastischen Abend!

 

Später Schnappschuss: Die Handyuhr zeigt 0:56

„Julius“ heißt das Zweitlokal vom „Ernst“ auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Im Gegensatz zum „Ernst“ ist es da licht und hell – und es lässt sich der „Ernst“-Style etwas preiswerter genießen, nämlich für 65 Euro pro Menü ohne Getränke, ebenfalls per Vorkasse.

Gewundert habe ich mich vor zwei Jahren, dass die „Ernst“-Leute sich gerade im schäbigen Wedding niedergelassen haben (was ich beurteilen kann, habe ich doch vor Zeiten in der Nähe gewohnt). Doch ein längerer Rundgang signalisiert mir, dass dieser Teil des Bezirks vor einem fulminanten Aufstieg steht. Offensichtlich hat der begnadete Koch auch ein Händchen für Immobilien.

 

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